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Donnerstag  -  13. Januar, 20:00
Konzerthaus Berlin Kleiner Saal:

Russische Kammermusik

Interpreten:

GERICELLI
David Geringas Leitung und Violoncello
Stephan Picard Violine
Sophia Jaffe Violine
Andra Darzins-Prieditis Viola
Ula Ulijona Zebriunaité Viola
David Geringas Violoncello
Monika Leskovar Violoncello
Julian Arp Violoncello
Sol Gabetta Violoncello
Sofia Gubaidulina Aquaphon
Viktor Suslin Aquaphon

Anton Arensky Streichquartett Nr. 2 a-Moll op. 35
Sofia Gubaidulina "Am Rande des Abgrunds" für Violoncello solo, sechs Violoncelli und zwei Aquaphone
Sergej Tanejew Streichquintett Nr. 1 G-Dur op. 14

Programmheftdownload

Karten 12.- & 15.- Euro

Konzerthaus
Gendarmenmarkt 2
Berlin-Mitte
U-Bahn Stadtmitte
Fon 030.20309-2101
www.konzerthaus.de

 

 



SERGEI NEWSKI

Notizen zum Medienbild

Gleich dem Medienportrait vieler zeitgenössischer Komponisten basiert das Bild von Sergei Newski im wesentlichen auf seinen Selbstzeugnissen. In diesen beliefert der Komponist die Hörer und Kritiker nur mit einem Minimum an biographischen Informationen und mit so gut wie keinen Stellungnahmen zu den Trends des aktuellen Musiklebens. Statt dessen konfrontiert Sergei Newski Hörer und Kritiker mit literarisch anspruchsvoll gestalteten - manchmal auch bewußt rätselhaften - Angaben über die kompositionstechnische Ideen und Entstehungsimpulsen seiner eigenen Werke. Daß vieles im Schaffen Newskis auf die Kontakte des Komponisten mit seinen Interpretern (wie Natalja Pschenitschnikowa oder Robin Hayward) zurückgeht, tritt dabei nie in den Vordergrund. Dementsprechend beschränken die Kritiker ihre Aufmerksamkeit auf die Werke Newskis an sich - ein Ziel, das der Komponist offenbar damit auch verfolgt.

Der Kern der medialen Darstellung Sergei Newskis ist das Bild eines zuweilen rätselhaften, wohl auch unbequemen, zu brutalen Musikaktionen neigenden "Russen", der einer "normalen" Musiksprache Sprechgesang mit russischen Schimpfwörtern, autistische Laute und allerlei "Bürgerschreck" vollzieht. Charakteristisch sind z.B. solche Titel der Zeitungskritiken wie "Schreien, Krächzen, Schweigen" (FAZ), "Stammeln, quasseln, würgen" (die Welt), "Schprechmühlengeklapper" (FAZ) etc. So schreibt der Kritiker der Zeitung "Die Welt" über Sergei Newskis im Konzerthaus Berlin aufgeführtes Werk "J'etais d'accord":
                Newski verlangt hohes Können und äußerste Präzision. Beides wurde ihm von dem vorzüglichen Kammerensemble Neue Musik Berlin unter Peter Rundel sowie von der Sängerin Natalja Pschenitschnikowa durchaus zuteil. Alltagsgeräusche wie das Zerknüllen von Papier oder das Scheppern von Tassen waren dem Verlauf punktgenau eingefügt, und der Schlagzeuger haute sich mit dem Hammer aus der Werkzeugkiste nicht auf den Daumen. Der Sängerin freilich ist zu singen nicht aufgegeben. Sie stammelt. Sie gurgelt und seufzt. Sie schreit, wimmert und würgt. Als Modell einer psychotischen Situation mag das von Interesse sein. Aber als Kunstwerk?  
In den anderen Kritiken zu Newskis Kompositionen liest und in Radiosendungen hört man vom "zerbrochenen Porzellan" und sogar von den "hässlichen pornographischen Bildern", die die "Kälte der Anonymität auch nach der Verfremdung nicht einbüßen" (solche Bilder waren nämlich nach den Selbstzeugnissen des Komponisten die Inspirationsquelle für das Stück "Fotografie und Berührung"). Dies soll allerdings nicht als Selbstzweck, sonder als Ausdruck "purer Verzweifelung" und "katastrophischer Spannung" gelten, die mehreren Werken des jungen Komponisten eigen seien.

Das erstaunliche dabei ist, daß hinter einem solchen Medienbild sich ein eigentlich raffinierter junger Künstler verbirgt, der nicht weniger als Ali-Sade "auf der Suche nach einer ungewöhnlicher Schönheit" ist. Das wird offensichtlich, wenn man sich nicht nur auf das jeweilige zu rezensierende Werk beschränkt, sondern mehrere Werke des Komponisten vergleicht - und dies wäre im Falle der Texte zu Programmheften wie dem zum Berliner Festival "Ultraschall" oder zur Reihe "Bach-Erfahrungen" im Konzerthaus durchaus möglich gewesen. Der Alltag des Konzertbetriebes ist aber so, daß derjenige, der Texte zu einem Programmheft schreibt, normalerweile unter Zeitdruck steht und würde auf eigene Initiative kaum Recherche zu einem noch wenig bekannten Tonsetzer unternehmen. Und noch ein Problem, der die Multikulturalität betrifft: Sergei Newski reflektiert schriftlich über die moderne Kunst und die Stellung des Künstlers - was jedoch nicht in seine Selbstzeugnisse als Komponist einfließt. Seine Essays und Kunstkritiken werden in den Zeitungen und im Internet auf Russisch veröffentlicht - so daß selbst diejenigen Kritiker, die eine genauere Vorstellung von Newski gewinnen wollen und im Internet nach "Sergej Newski" suchen, nicht zu diesen Materialien kommen, wenn sie nicht Russisch können. Aber vielleicht zieht Newski selbst eher seine mediale Darstellung als "wilder Russe in der Musikszene Berlins" dem komplizierteren und deswegen weniger charakteristischen Bild eines vielschichtigen Intellektuellers vor.

Machen sich jedoch die Medienmacher es nicht zu leicht, indem sie sich völlig auf die Selbstzeugnisse der Komponisten und die gängigen Klischees verlassen, indem sie nicht hinterfragen, keine Hintergründe erforschen, nicht nach dem Unbekannten suchen? Oder möchte man einfach nicht das Publikum mit allzu widersprüchlichen Darstellungen erschrecken?

© Georg Brachland

http://www.007-berlin.de/ru/ru-menu/0210ru-musik-kont01.htm

 
     

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