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SERGEI NEWSKI
Notizen zum Medienbild
Gleich dem
Medienportrait vieler zeitgenössischer Komponisten basiert das Bild von
Sergei Newski im wesentlichen auf seinen Selbstzeugnissen. In diesen
beliefert der Komponist die Hörer und Kritiker nur mit einem Minimum an
biographischen Informationen und mit so gut wie keinen Stellungnahmen zu
den Trends des aktuellen Musiklebens. Statt dessen konfrontiert Sergei
Newski Hörer und Kritiker mit literarisch anspruchsvoll gestalteten -
manchmal auch bewußt rätselhaften - Angaben über die
kompositionstechnische Ideen und Entstehungsimpulsen seiner eigenen Werke.
Daß vieles im Schaffen Newskis auf die Kontakte des Komponisten mit seinen
Interpretern (wie Natalja Pschenitschnikowa oder Robin Hayward)
zurückgeht, tritt dabei nie in den Vordergrund. Dementsprechend
beschränken die Kritiker ihre Aufmerksamkeit auf die Werke Newskis an sich
- ein Ziel, das der Komponist offenbar damit auch verfolgt.
Der Kern der medialen Darstellung Sergei Newskis ist das
Bild eines zuweilen rätselhaften, wohl auch unbequemen, zu brutalen Musikaktionen
neigenden "Russen", der einer "normalen" Musiksprache Sprechgesang
mit russischen Schimpfwörtern, autistische Laute und allerlei "Bürgerschreck"
vollzieht. Charakteristisch sind z.B. solche Titel der Zeitungskritiken
wie "Schreien, Krächzen, Schweigen" (FAZ), "Stammeln, quasseln,
würgen" (die Welt), "Schprechmühlengeklapper" (FAZ) etc. So schreibt
der Kritiker der Zeitung "Die Welt" über Sergei Newskis im Konzerthaus
Berlin aufgeführtes Werk "J'etais d'accord":
Newski verlangt hohes
Können und äußerste Präzision. Beides wurde ihm von dem vorzüglichen
Kammerensemble Neue Musik Berlin unter Peter Rundel sowie von der Sängerin
Natalja Pschenitschnikowa durchaus zuteil. Alltagsgeräusche wie das
Zerknüllen von Papier oder das Scheppern von Tassen waren dem Verlauf
punktgenau eingefügt, und der Schlagzeuger haute sich mit dem Hammer aus
der Werkzeugkiste nicht auf den Daumen. Der Sängerin freilich ist zu
singen nicht aufgegeben. Sie stammelt. Sie gurgelt und seufzt. Sie
schreit, wimmert und würgt. Als Modell einer psychotischen Situation mag
das von Interesse sein. Aber als Kunstwerk?
In den anderen Kritiken zu Newskis Kompositionen liest und in
Radiosendungen hört man vom "zerbrochenen Porzellan" und sogar von den
"hässlichen pornographischen Bildern", die die "Kälte der Anonymität auch
nach der Verfremdung nicht einbüßen" (solche Bilder waren nämlich nach den
Selbstzeugnissen des Komponisten die Inspirationsquelle für das Stück
"Fotografie und Berührung"). Dies soll allerdings nicht als Selbstzweck,
sonder als Ausdruck "purer Verzweifelung" und "katastrophischer Spannung"
gelten, die mehreren Werken des jungen Komponisten eigen seien.
Das
erstaunliche dabei ist, daß hinter einem solchen Medienbild sich ein
eigentlich raffinierter junger Künstler verbirgt, der nicht weniger als
Ali-Sade "auf der Suche nach einer ungewöhnlicher Schönheit" ist. Das wird
offensichtlich, wenn man sich nicht nur auf das jeweilige zu rezensierende
Werk beschränkt, sondern mehrere Werke des Komponisten vergleicht - und
dies wäre im Falle der Texte zu Programmheften wie dem zum Berliner
Festival "Ultraschall" oder zur Reihe "Bach-Erfahrungen" im Konzerthaus
durchaus möglich gewesen. Der Alltag des Konzertbetriebes ist aber so, daß
derjenige, der Texte zu einem Programmheft schreibt, normalerweile unter
Zeitdruck steht und würde auf eigene Initiative kaum Recherche zu einem
noch wenig bekannten Tonsetzer unternehmen. Und noch ein Problem, der die
Multikulturalität betrifft: Sergei Newski reflektiert schriftlich über die
moderne Kunst und die Stellung des Künstlers - was jedoch nicht in seine
Selbstzeugnisse als Komponist einfließt. Seine Essays und Kunstkritiken
werden in den Zeitungen und im Internet auf Russisch veröffentlicht - so
daß selbst diejenigen Kritiker, die eine genauere Vorstellung von Newski
gewinnen wollen und im Internet nach "Sergej Newski" suchen, nicht zu
diesen Materialien kommen, wenn sie nicht Russisch können. Aber vielleicht
zieht Newski selbst eher seine mediale Darstellung als "wilder Russe in
der Musikszene Berlins" dem komplizierteren und deswegen weniger
charakteristischen Bild eines vielschichtigen Intellektuellers
vor.
Machen sich
jedoch die Medienmacher es nicht zu leicht, indem sie sich völlig auf die
Selbstzeugnisse der Komponisten und die gängigen Klischees verlassen,
indem sie nicht hinterfragen, keine Hintergründe erforschen, nicht nach
dem Unbekannten suchen? Oder möchte man einfach nicht das Publikum mit
allzu widersprüchlichen Darstellungen erschrecken?
© Georg
Brachland |